Parallelweltbesuch – Teil 1

Der 1. Mai beginnt für mich mit einem halb durchgeschnittenen, ziemlich orangefarbenen Mond um 05:01 Uhr. War für ein Start in den Tag! Nach einem doppelten Espresso und einer 20-minüten Qi-Gong-Session, einer ausgiebigen Dusche und einem Bittertee wachen auch die anderen Mitglieder des Hauses in der krummen Strasse nach und nach auf. Heute ist der Tage gekommen, auf den wir uns nicht alle sehr vorgefreut haben. Denn die Autorin höchstselbst macht heute einen Abstecher in eine Parallelwelt. Parallelwelt? Gewissermaßen – denn die eigene Welt mit ihrem gewohnten Gang, Gefühl und Raumzeitkontinuum wird verlassen – und das für 2 volle Tage, gänzlich ohne ihren sonst gewohnten Anhang

Ungewohnt, aufgeregt, ein bisschen auch mit Ungewohntaufgregt-Übelkeit fahre ich um etwa 09.00 Uhr los. Alles ist noch still, kaum jemand unterwegs.

Seid ihr schonmal auf einer Autobahn gefahren, so im Gleichtakt vor euch hin, ganz allein auf weiter Strecke? Das ist schon ein spannendes Gefühl. So als käme ich von nirgendwo und wollte irgendwo hin. Und ich fahre allein vom Nirgendwo ins Irgendwo. Ich hab mich manchmal gefragt, wie es Filmemacher hinkriegen, dass sie Autobahnstrecken filmen, und der Protagonist ist ganz allein unterwegs. Jetzt weiß ich´s: er fährt am 1. Mai morgens um 9 Richtung Hamburg.

Hamburg ist aber heute nicht mein Endziel. Ich fahre noch ein bisschen weiter. Bis nach Lübeck. Warst du schonmal in Lübeck? Ich nicht. Ich bin heute das erste Mal hier.

Bei so einer weiten Fahrt ist ein Stau immer mit inbegriffen. Kostenlose Ruhe mitten im Getümmel sozusagen.

Ich mag Stau. Ich ändere die Musik (diesmal war´s Classic) und stelle mir Dinge vor. Die deutsche Sprache ist toll, oder? Zum Beispiel hat sie einen eigenen Begriff für all die kleinen Blechbüchsen, in denen un- oder bewusste Wesen sitzen, die da aus einem Nirgendwo kommen. Der Begriff lautet: Verkehr.
Ich stelle mir Verkehr als eine Art Schwarmintelligenz vor. All die kleinen un- oder bewussten Wesen arbeiten zusammen, für eine gewisse Zeit lang, um ihren Bau (also ihr Irgendwo) zu erreichen. Eine Schwarmintelligenz zeichnet sich ja dadurch aus, dass es wie ein einzelnes Wesen komplexe Herausforderungen löst und das einzelne Individuum innerhalb des Schwarms quasi „unwichtig“ ist – es geht um das übergeordnete Ganze.
Ja, ich übertreibe natürlich, viele unbewusste Wesen in den kleinen Blechbüchsen nehmen sich viel zu wichtig und bringen die ganze Schwarmintelligenz Verkehr durcheinander. Das kennst du oder? Ich hoffe du bist ganz bewusst und arbeitest ganz unwichtig sehr wichtig mit allen anderen zusammen – gemeinsam an der komplexen Herausforderung Straßenbewältigung.

Stell dir mal vor, wie so ein Stau aus dem Weltall aussieht: wie zielstrebige Ameisen in Blechbüchsen, die eifrig da- und dorthin rollen, Sachen einsammeln und der Königin bringen. Die arbeiten – bis auf ein paar unbewusste Ausreißer – fast harmonisch zusammen und manchmal streiten sie auch, das sieht man an dem Zittern der Blechbüchsen. Muss komisch aussehen für die Wesen da oben im Weltraum. Warum setzen sich die Ameisen in Blechbüchsen und rollen da herum? Macht auch ganz schön krach, dieses Blechbüchsengehabe und sauber bleibt die Luft auch nicht. Komische Ameisen, verpesten ihre eigene Überlebensgrundlage.
Na gut, das ist ein anderes Thema.

Eine Pause hab ich natürlich auch gemacht und stand in einer sehr langen Schlange, irgendwo invorhinter Hamburg, vor einem fast sauberen WC und ich war sehr dankbar, dass es diese Anlage gibt, denn ganz ehrlich? Wenn man dringend Pipi muss dann gibt es fast kein besseres Gefühl auf der Welt, als das auch rauslassen zu können. Stimmt´s? Und nochmal bin ich dankbar für wunderbare Menschen auf der Welt, die ihr (in diesem Fall weniger stilles Örtchen) sauber und fein hinterlassen.

Einen ganz neuen Ort, an dem man noch nie war, zu besuchen ist wirklich spannend. Und wenn dabei die Sonne von einem wolkenlosen blauen Himmel bei 20° strahlt ist es noch wunderbaraufregender.

Mit knurren im Magen und einem Gefühl wie Alice im Zauberwunderland geht´s jetzt los zum Teil 2 des Parallelweltbesuchs.